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DORMAGO

Grundschüler kämpfen für Sher Ali

04.03.2018 / 22:56 Uhr — Dormago

Dormagen. Wer Sher Ali sieht, der kann sich nicht vorstellen, was der 11-Jährige schon alles ertragen musste. Über 7000 Kilometer Fahrstrecke von Dormagen entfernt gehört in Kabul die Gefahr zum täglichen Leben. Sher Ali wohnte in einiger Entfernung zur afghanischen Hauptstadt, doch auch in dem kleinen Ort war man nicht sicher vor den Taliban. Die Familie seines Onkels, ein hochrangiger Polizist, wurde nahezu vollständig ausgelöscht. Nur der Sohn, Sher Alis Cousin, hatte Glück im Unglück, weil er sich beim Mordanschlag nicht Zuhause sondern im Umfeld von Sher Alis Familie aufhielt. Das ist die Ausgangsposition vor der Flucht des Jungen, seiner Eltern, der Geschwister und seines Cousins. Eine Flucht mit Entbehrungen - Nahrhaftes zu bekommen war nicht selbstverständlich, "wir haben auch schon mal Schnee gegessen", sagt Sher Ali. An einem sicheren Ort angekommen sind allerdings nicht alle, die Gruppe wurde getrennt. Sher Ali, sein Vater und sein Cousin kamen in Deutschland an und leben seit einiger Zeit in Dormagen. Die Mutter und vier Geschwister mussten umkehren und befinden sich in ihrer alten Heimat im Versteck. Das Schicksal der Neu-Dormagener ist aktuell schon wieder ungewiss. Die Ausweisung droht, ein förmlicher Bescheid liegt vor, gegen den die Klage läuft.

Es ist gerade die Geschichte von Sher Ali, die betroffen macht. Seine Mitschülerinnen und Mitschüler an der Erich-Kästner-Grundschule setzen sich ein für den Jungen und hoffen, dass er hier bleiben kann. Sie haben 374 Unterschriften gesammelt, die sie vor wenigen Tagen Bürgermeister Erik Lierenfeld übergeben haben. Der Junge aus Afghanistan ist beliebt, wurde zum Klassensprecher gewählt und gehört auch dem Dormagener Kinderparlament an. Die Augen von Mahmut Etem leuchten, wenn er von seinem Freund spricht. Immer wollte er einen Kumpel als Freund haben - und Sher Ali ist einer.

Bei der Frage, warum er hier bleiben soll, sagen Kinder: "Er tut uns und der Schule gut." Gemeint ist die Fähigkeit, zu vermitteln und Hilfestellungen zu geben. Das macht er in einem schon guten Deutsch, nachdem er die Sprache erst lernen durfte, als er seit November 2016 eine Schule besuchen konnte. Aufgenommen zunächst in einem Lager in Herne gab es für ihn über Monate hinweg kein schulisches Angebot - man wusste ja nicht, wie es mit dem Verbleib und der Zukunft aussieht... Doch Sher Ali will Deutsch lernen. Mit gutem Erfolg hatte er es bereits im engen Kontakt mit Vertretern der örtlichen Security in Herne versucht. An der Erich-Kästner-Schule klappt das natürlich deutlich besser. Dort hat man Erfahrung im Umgang mit Kindern aus anderen Ländern - aktuell kommen sie aus über 30 Nationen. Darunter sind derzeit vier afghanische Kinder.

"Sher Ali hat sich prima entwickelt", betont Schulleiterin Monika Scholz. Das gilt für die schulischen Leistungen, aber auch für das Sozialverhalten. Er will eines Tages Arzt werden, um "Menschen zu helfen", und könnte bald den nächsten Schritt machen: Die Annahme am Bettina-von-Arnim Gymnasium scheint klar zu gehen. Darüber freut sich auch der Bürgermeister, der Hilfe zusagt, die in seinen Möglichkeiten liegt. Die Abschiebung ist weiter ein Thema, allerdings kann Erik Lierenfeld leichte Entwarnung geben: "Nach Afghanistan abgeschoben werden im Augenblick nur Straftäter oder so genannte Gefährder."

Unabhängig von der rechtlichen Lage überlegt der Vater, ob er zurück nach Afghanistan geht. Dort leben seine Frau sowie die zwei Söhne und zwei Töchter unter besonders schwierigen Bedingungen. Da wird längst der Ruf nach Hilfe laut. Vater und Mutter trauen ihrem Elfjährigen zu, dass er dank der breiten Unterstützung in Dormagen auch ohne einen Elternteil klarkommt und hier schulische Möglichkeiten hat, von denen in seiner alten Heimat nur geträumt werden kann. Doch sollte der Vater Deutschland verlassen, müsste die Unterbringung von Sher Ali geklärt werden. Für ihn ist die Situation auch nicht leicht zu ertragen, eventuell auf lange Zeit gar keinen direkten Kontakt mit seiner Familie zu haben. Und er weiß, dass die Rückkehr gerade für seinen Vater nicht ungefährlich sein wird. Denn auch der war in der Heimat Polizist und wegen seiner Korrektheit kein Freund von Kriminellen.

Die Geschichte von Sher Ali und seiner Familie verlangt nach einer humanitären Lösung - die Familienzusammenführung wäre die sinnvollste. Wie immer sie gelingen kann. Auch der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Dormagens Ex-Bürgermeister Heinz Hilgers, hat sich jetzt eingeschaltet und beteiligt sich an der Lösungssuche.

 

Fotoquelle: Dormago / privat

Pressefotos
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